„Wenn du nicht spurst, kommst du nach Torgau!“

Gabriele Beyler und Ralf Weber von der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof als Sachverständige im Deutschen Bundestag

Am vergangenen Montag, den 27. Juni 2011 fand eine Anhörung zum Thema „Heimkinder“ des Ausschusses für Familie, Soziales, Frauen und Jugend statt. Als Grundlage diente dabei der gemeinsame Antrag von CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis90/Die Grüne mit dem Titel „Opfern von Unrecht und Misshandlungen in der Heimerziehung wirksam helfen“ (BT-Drs. 17/6143), der eine gesamtdeutsche Aufarbeitung und Entschädigung der Opfer der Systeme der Heimerziehung in der DDR von 1949 bis 1989 sowie in der Bundesrepublik von 1949 bis 1975 fordert. Die Fraktion „Die Linke“ möchte mit einem eigenen Antrag „Unterstützung für Opfer der Heimerziehung – Angemessene Entschädigung für ehemalige Heimkinder umsetzen (BT-Drs. 17/6093) nur eine west-deutsche Aufarbeitung der Heimerziehung forcieren. Die erste Lesung der Anträge erfolgte im Plenum des Deutschen Bundestages bereits am 09. Juni 2011 (BT-Plenarprotokoll 17/114, ab S. 13053), an der bereits auch zahlreiche ehemalige DDR-Heimkinder und Vertreter der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau teilnahmen.

Bei der nun stattgefundenen Anhörung benannte die Unionsfraktion mit dem Vorsitzenden der Opferbeirates der Gedenkstätte „Geschlossener Jugendwerkhof Torgau“ Ralf Weber und der Vorsitzenden der gleichen Einrichtung Gabriele Beyler, zwei Sachverständige für die Heimerziehung in der DDR. Im Vorfeld konnten Stellungnahmen abgegeben werden (siehe http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a13/anhoerungen/Heimerziehung/index.html). Nach den jeweiligen Eingangsstatements der insgesamt zehn Sachverständigen konnten die Abgeordneten zwei Stunden Fragen an die Experten stellen, wovon bis zum Schluss rege Gebrauch gemacht wurde.

Insbesondere die sehr persönlichen Ausführungen von Ralf Weberüber seine Erlebnisse im System der Heimerziehung ging den Abgeordneten sichtlich nahe. Weber stellte dabei den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau als zentrales Züchtigungsinstrument der Heimerziehung in der DDR dar. „Jeder Jugendliche kam aus einem der 472 DDR-Heime oder 32 Jugendwerhöfen nach Torgau und ging danach wieder in ein Heim. Nach Torgau wollte niemand, es war schlimmer als Knast. Unsere Persönlichkeit sollte dort gebrochen werden, was vorher nicht gelang.“ so Weber auf die Frage - nach persönlichen Erlebnissen in Torgau - des Bundestagsabgeordneten Manfred Kolbe (CDU), der als Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für Heimkinder-Ost ebenfalls der Anhörung beiwohnte.

Die ausführlichen Schilderungen und Anregungen der Experten werden nun in die weitere Antragsberatung der Abgeordneten einfließen. Die abschließende Beratung der Anträge ist für die kommende Sitzungswoche (07./08. Juli 2011) vorgesehen. Nach der Sommerpause soll es dann entsprechende Gesetzesvorschläge zur Einsetzung von Entschädigungsleistungen geben.

„Für die aufgebrachte Kraft und die klaren Worten danke ich Herrn Weber und Frau Beyler ausdrücklich. Es war wichtig, das teilweise menschenverachtende System der DDR-Heimerziehung darzustellen und klar und deutlich aufzuzeigen, dass es Missbrauch und Gewalt auch vielerorts in der DDR gab, wobei hier nicht einmal die theoretische Möglichkeit bestand, sich an unabhängige Stellen zuwenden.“ so Manfred Kolbe abschließend.

Das Protokoll der Anhörung wird in den nächsten Tagen unter www.bundestag.de öffentlich zur Verfügung gestellt.

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